Sönke Busch bei der Eröffnungsfeier der Identitätsstiftung
Wir erleben gerade einen Aufstieg einer reichlich ekeligen Idee von Identität, einer Identität basierend auf regressivem Stolz auf das Vergangene, geboren aus der Angst, dass wir die besten Tage hinter uns haben, aus der billig daliegenden, kurzen und dummen Idee, dass jetzt gerade doch alles gut wäre. Es ist die dumme Idee, die Zeit aufhalten zu können. Europa wirkt gerade so, als wolle es an den Grenzen Museumstores errichten und nur noch Dienstagsnachmittag zwei Stunden öffnen. Doch es gibt Hoffnung, es gibt bessere Ideen. Bessere Werkzeuge, mutigere Menschen die wissen: Wenn Gesellschaft aus Mut und Lust auf Neues entsteht, dann haben wir wundervolle Arbeit vor uns. Es stimmt. Wir brauchen eine neue Identität.
Nun ist das Gerede über das Neue groß. „Neu” ist scheinbar immer gut. Nicht umsonst steht es auf Platz zwei der meist verwandten Werbeworte. Aber “Neu” ist nun mal nicht immer gut. Ganz im Gegenteil. „Neu” ist meistens Quatsch. „Neu” ist so ein Wort, dass bei Rossmann auf dem Weichspüler steht und dem Hausmann ein Lächeln in sein von Kindern gezeichnetes Gesicht zaubern soll. Ich mag neu nicht einfach so persé. Ich mag „Anders”. Aber das ist wahrscheinlich nicht auf Waschmittelflaschen zu finden. Hier und in unserem Umfeld gibt es ein Synonym für „Neu“, ein Wort, das dem Gesicht des Aufsichtsrates ein Lächeln entlocken soll. Das Wort lautet: „Kreativ“. Und ist für sich genommen, genauso so ein dummer Verdacht auf Gutes wie „Neu“.
Das Wort „Kreativagentur” macht die Runde, aber das ist Quatsch, jeder Kindergarten ist eine „Kreativagentur”. Jedes Kind ist kreativ. Sie sollten trotzdem keinen Drittklässler mit der kompletten Neukonzeptionierung ihrer Marketingabteilung beauftragen. Obwohl, um das einzugrenzen: Wahrscheinlich würde der Kunde den Unterschied trotzdem nicht oft merken.
Es geht darum, Menschen zu haben, die den Unterschied kennen. Es braucht Menschen, die wissen, wann was angebracht ist. Die Identitätsstiftung ist neu. Und Jedem Neuen, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Die Frage ist, ob der Zauber des Neuen ein billiger Trick oder eine kluge Konsequenz aus dem Alten ist.
Wir brauchen gute Erzähler. Eine neue Sichtweise muss immer zuerst den neuen Blickwinkel präsentieren und ein neuer Blickwinkel erfordert immer Bewegung. Das ist anstrengend. Es ist einfacher, sich aus Bestehendem zu rechtfertigen, als sich zu trauen, mit neuen Ansätzen neugierig zu machen. Es braucht Bewegung und Veränderung, allein schon, um auch das Alte neu betrachten zu können. Wir brauchen Menschen, die Menschen bewegen.
Es ist schon verrückt: Wir überlassen das Feld der gesellschaftlichen Veränderung Menschen aus der Politik, damit wir uns nicht darum kümmern müssen aber regen uns dann auf, dass sie es nicht so machen, wie wir der Meinung sind, es besser zu können. Das voreilige Gerede von denen da oben und uns da unten. Dabei wird so oft vergessen: Niemand, wirklich niemand, verbietet Partizipation. Sie wird nur falsch wahrgenommen. Veränderung entsteht immer im Kleinen, im Winzigsten. Und am allermeisten aus etwas, dass zwar oft umschrieben, aber fast nie ernst gemeint wird: aus einer Stimmung. Aus dem Gefühl, einen Unterschied zu machen.
Es geht dabei um Teilhabe. Es geht darum, dass jeder Mensch am besten weiß, was seine Bedarfe sind, was er will, was er braucht. Es geht darum, endlich aufzuzeigen, dass jeder ein Teil von diesem einen System ist, das wir Menschen gemeinsam bilden. Im Grund geht es um eins: Es geht um Demokratie in ihrem schönsten und kleinstteiligen Sinne. Die Menschen einer Stadt wissen, wie sie ihre Stadt haben wollen, wie aus einer Stadt eine Gemeinschaft im besten Sinne wird. Menschen, sowohl Arbeitgeber, aber noch viel mehr Arbeitnehmer, wissen selbst am besten, wie und was sie mit wem arbeiten wollen und wie aus einem Betrieb ein Unternehmen wird. Patienten, Ärzte, Krankenschwestern und alle anderen, wissen am besten, wie aus einem Krankenhaus ein Gesundheitshaus wird. Menschen wissen am besten, was sie von einem Spiel, einem Stück, einem Film, einem Buch erwarten und wie eben daraus ein Abenteuer wird. Alles was ihnen fehlt, sind Werkzeuge der Teilhabe, Kanäle um sich mitzuteilen und das Wissen, dass sie mit ihren Gedanken und ihren Taten etwas verändern werden, wenn sie sich nur trauen diese zu äußern. Ich finde das ist ein verdammt wichtiger Ansatz im Angesicht der Zeit. Denn die Arbeit, die dieses Haus beseelen wird, stellt sich realen Problemen und realen Anforderungen.
Identität ist nichts Angeborenes. Es ist das, was jeder Einzelne von uns aus sich macht und das jeden Tag aufs Neue. Identität ist nichts Festes. Identität ist immer etwas, dass wir selber, jeder Einzelne von uns selbst erschafft. Identität ist der persönliche Sockel, von dem aus wir operieren, das innere Korrektiv, das uns sagt, was richtig und was falsch ist. Identität ist harte Arbeit, eine Gewichtung von Vergangenheit, von unseren Wurzeln, unseren Träumen, unseren Antrieben, von dem, was uns wichtig und unwichtig ist. Identität als wandelbarer Faktor. Identität ist stiftbar, verwandelbar. Nichts in Stein geschlagenes. Identität als etwas schenkbares, übertragbares. Identität ist aktiv zu gestalten.
Wenn die Menschen der Identitätsstiftung von Neuem sprechen, dann ist da ein Zwischenton. Ein Sound. Wenn Sie so wollen, der Sound der Identität der Identitätsstiftung. Ich finde genau das wichtig. Es gibt keine einfachen Antworten. Es gibt keine einfachen Fragen. Aber was es gibt, ist ein Sound, der diese Suche umschließt. Verbindet. Ein Grundton in Dur. Eine Klangfarbe in Kupfer und Grün, ein Band in dieser Farbe, das hoffentlich durch den Frühling flattert.
Es ist ein Ehrliches, nicht so zu tun, als gäbe es Patentantworten auf all die Herausforderungen, die ihrer Lösung harren. Identität ist immer in erster Linie ein Hin und Her, ein Geben und Nehmen. Ein gemeinsames Ausloten, ein fortwährendes Gespräch. Alleine die Thematisierung ist schon ein Gutes. Was diese Stiftung hier tun kann und tun wird: zuhören. Teilnehmen. Sich einmischen und Lösungen finden. Da wo es gewünscht ist und wohl noch viel mehr, wo sie es für richtig halten.
Sönke Busch
Privatier und Künstler, lebt und arbeitet in Bremen, Pitsburg und Monrovia. In seinen Arbeiten umschreibt Busch Dinge die ihm auffallen und um die Welt zu verändern. Sein aktuelles Werk "Ich muss diesen Klotz noch bis nach Hannover schieben" erscheint im Eisenharz Verlag.